Für L’Oeil du Public ist klar: Das Publikum sollte im Mittelpunkt der strategischen Überlegungen von Kultureinrichtungen stehen. Viele Häuser zögern jedoch, sich mit Besucherforschung auseinanderzusetzen. Das Thema wirkt im ersten Moment komplex und kann schnell überfordern. Aber ist das wirklich so? Und ganz grundsätzlich: Welche Möglichkeiten gibt es, das Publikum besser zu verstehen? Und was ist mit denjenigen, die (noch) nicht kommen? Müssen Publikumsstudien immer aufwendig und teuer sein? Und worauf sollten Kultureinrichtungen achten, wenn sie selbst Erhebungen durchführen? In diesem Beitrag klären wir die wichtigsten Fragen, räumen mit Vorurteilen auf und zeigen, wie Kultureinrichtungen mit den richtigen Grundlagen selbst spannende Einblicke in ihr Publikum gewinnen können.
Am Anfang jeder Studie stehen offene Fragen und fehlende Informationen. Genau diese bestimmen, welche Methode für eine Publikumsstudie am besten geeignet ist. Jede Methode hat ihre eigenen Stärken und Schwächen – eine Universallösung, die für jegliche Fragestellungen geeignet ist, gibt es nicht. Dies stellt aber kein Problem dar, denn bei komplexen Fragestellungen lassen sich die verschiedenen Ansätze der Publikumsforschung leicht miteinander kombinieren und ergänzen sich gegenseitig. Damit die Auswahl des Erhebungsansatzes gelingt, ist es wichtig, die Merkmale der unterschiedlichen Erhebungsansätze zu kennen:
Die Auswertung bereits vorhandener Sekundärdaten
Bei einer Sekundärdatenanalyse werden bereits vorhandene Daten und Studien analysiert. Dazu gehören interne Quellen wie Online-Ticketing-Systeme oder externe Daten wie öffentliche Statistiken und bestehende Studien. Sie eignen sich besonders, um Analysen zu grundlegenden Kennzahlen durchzuführen. Ein großer Vorteil von Sekundärdatenanalysen ist, dass sie in der Umsetzung vergleichsweise kostengünstig sind und schnelle Ergebnisse liefern. Dafür können die Daten allerdings nicht individualisiert werden, da sie bereits erhoben wurden. Eigene Fragen oder Datenpunkte können nicht nachträglich bzw. nur in Ausnahmen in einen bereits bestehenden Datensatz integriert werden. Bei externen Daten gilt es außerdem, die Quelle ausführlich zu prüfen. Liegen nur unvollständige oder schwammige Informationen zum Ursprung der Daten vor, sind diese grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten und in ihrer Aussagekraft stark eingeschränkt.
Beispiel: Eine Kultureinrichtung möchte ihren Ansatz im Kulturmarketing überarbeiten. Dafür benötigt sie Daten zu den grundlegenden Einstellungen der Bevölkerung zum Thema Kultur. Sie greift dabei auf die Kulturstatistiken des Bundesamtes für Statistik in der Schweiz oder auf die öffentlich zugänglichen Ergebnisse der von L’Oeil du Public und dem Deutschen Museumsbund durchgeführten Studie zu Kulturbesuchen in Deutschland zurück.
Reale Beobachtungen vor Ort
Beobachtungsmethoden ermöglichen es, Bewegungsmuster und Verhaltensweisen des Publikums systematisch und unverfälscht zu erfassen. In den meisten Fällen erfolgt die Beobachtung manuell, etwa durch händische Zählungen der Besucher:innen oder strukturierte Verhaltensbeobachtungen vor Ort. Unabhängig von der gewählten Methode sind solche Studien meist ressourcenintensiv, liefern dafür aber besonders zuverlässige und unverzerrte Ergebnisse – und das direkt während des Besuchs einer Kultureinrichtung. Genau das ist mit anderen Erhebungsmethoden oft nur schwer zu realisieren.
Beispiel: In der Vergangenheit hat L’Oeil du Public für verschiedene Schweizer Mediatheken die Bewegungen der Besucher:innen manuell erfasst und dabei reale Interaktionen und Reaktionen analysiert. Die gewonnenen Daten wurden genutzt, um besonders frequentierte Bereiche zu identifizieren und die Wegführung gezielt zu optimieren.
Tiefliegende Motivationen mit qualitativen Methoden erforschen
Qualitative Studienansätze umfassen offene und nicht standardisierte Befragungen wie individuelle Tiefeninterviews oder Fokusgruppen. Diese werden mit kleinen Stichproben durchgeführt und dienen dazu, die Motive hinter oberflächlichen Antworten zu identifizieren. Dabei können zum Beispiel projektive Übungen zum Einsatz kommen – etwa Bildkarten oder Assoziationsaufgaben –, um unbewusste Einstellungen und emotionale Reaktionen der Teilnehmenden zu erfassen. Im Rahmen qualitativer Interviews können Moderator:innen zudem gezielte Nachfragen stellen und spannende Aspekte sehr detailliert vertiefen.
Beispiel: Um an seiner Positionierung zu arbeiten, hat ein bekanntes Schloss gemeinsam mit L’Oeil du Public eine qualitative Studie durchgeführt. Über Tiefeninterviews mit projektiven Übungen wurden dabei unter anderem die emotionale Bindung zwischen dem Schloss und seinen Besucher:innen, die wahrgenommene Einzigartigkeit des Ortes sowie die Wirkung verschiedener Elemente der Dauerausstellung analysiert.
Quantitative Forschung zum Messen, Vergleichen und Strukturieren
Im Gegensatz zur qualitativen Forschung setzt die quantitative Forschung auf standardisierte Methoden wie Onlineumfragen, um eine große Anzahl von Teilnehmenden systematisch zu befragen. Dadurch lassen sich repräsentative Stichproben erheben und mithilfe statistischer Analysen fundierte Erkenntnisse gewinnen – etwa zur Bestimmung eines optimalen Eintrittspreises oder zur Identifikation von Besuchsmustern. Quantitative Studien eignen sich außerdem für Langzeit- und Wiederholungsstudien, in denen mit derselben Methodik und demselben Studiendesign zu verschiedenen Zeitpunkten Daten erhoben werden, um objektiv mittel- und langfristige Trends und Entwicklungen zu identifizieren.
Beispiel: Für ein großes Museum hat L’Oeil du Public eine Langzeitstudie rund um das Thema Markenwahrnehmung konzipiert. Die wichtigsten Indikatoren und Kennzahlen zum Thema Marke werden regelmäßig aktualisiert und sind für das Museum in einem interaktiven Dashboard jederzeit abrufbar.
Die Entscheidung für einen Erhebungsansatz kann eindeutig, aber auch schwer abzuwägen sein
In der Praxis gibt es Situationen, in denen die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Erhebungsansatz sehr eindeutig ist. Mit einer schnellen Kurzerhebung lassen sich beispielsweise keine umfassenden und tiefgehenden Fragestellungen beantworten. In anderen Fällen gestaltet sich die Entscheidung jedoch schwieriger – hier ist oftmals eine sorgfältige Abwägung gefragt:
Sollte der Fokus auf quantitativen, bevölkerungsrepräsentativen Daten liegen? Oder liefern qualitative Einblicke in diesem Fall die nützlicheren Erkenntnisse? Und könnte es sogar sinnvoll sein, verschiedene Methoden zu kombinieren, um die Forschungsfrage wirklich fundiert zu beantworten? Gerade deshalb ist es wichtig, die Stärken und Grenzen unterschiedlicher Methoden zu kennen und die Forschungsfrage zu Beginn klar zu definieren. Denn: Die Forschungsfrage bestimmt die Methode – nicht umgekehrt.
Kultureinrichtungen können viele spannende Erkenntnisse selbstständig erheben
Auf den ersten Blick können die vorgestellten Erhebungsansätze kompliziert und aufwändig wirken. Davon sollten sich Kultureinrichtungen jedoch nicht abschrecken lassen. Wenn einige Grundlagen beachtet werden, lassen sich bereits mit einfachen Erhebungen wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Ein Beispiel für ein solches Vorgehen liefert das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf, das eine Feedbacksammlung eingerichtet hat. Besucher:innen konnten am Ende des Besuchs ihre Meinung zu einer Leitfrage auf Klebezetteln festhalten und diese an einer Wand anbringen. Dabei ist zu beachten, dass vor allem jene Besucher:innen Feedback geben, die das dringende Bedürfnis haben, etwas zu sagen – also Personen, die besonders zufrieden oder unzufrieden mit ihrem Museumsbesuch waren. Dennoch lassen sich aus den gesammelten Rückmeldungen wichtige Einblicke und Tendenzen ableiten. Diese Methode ist nicht nur kostengünstig, sondern fördert auch die Interaktion zwischen Publikum und Museum. Ein anderes Museum hat sich dazu entschieden, einige Strukturdaten über seine Besucher:innen systematisch beim Ticketkauf an der Kasse zu erheben. Dazu stellte das Kassenpersonal jeder bzw. jedem zehnten Besucher:in einige kurze Fragen – beispielsweise zur Postleitzahl. Die Beschränkung auf jede:n Zehnte:n stellte sicher, dass die Kurzbefragung keinen spürbaren Einfluss auf die Wartezeit an der Kasse hatte.
Methodisch saubere Arbeit ist Voraussetzung, um Verzerrungen in den Ergebnissen zu vermeiden
Aussagekräftige Ergebnisse setzen eine methodisch saubere Arbeitsweise voraus. Dabei gilt es eine Vielzahl an Aspekten zu beachten, die durchaus ganze Lehrbücher füllen können. Im Folgenden werden fünf Kernaspekte vorgestellt, die bei der Konzeption und Durchführung einer eigenen Besucherforschung unverzichtbar sind. Diese Übersicht hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, stellt aber eine solide Ausgangsbasis dar, von der aus sich tiefergehend mit dem Thema befasst werden kann:
1_Klare Ziele definieren
Zu Beginn jeder Studie muss die Frage „Was will ich wissen?“ eindeutig beantwortet sein. Das bedeutet nicht, dass bereits im Vorfeld ein vollständiger Fragebogen vorliegen muss, sondern dass die übergeordneten Forschungsfragen und Kernthemen, die mit der Studie bearbeitet werden sollen, klar definiert sind. Diese Forschungsfragen bestimmen, welche Erhebungsmethoden sich für die Studie am besten eignen. Während des gesamten Forschungsprozesses sollten die zentralen Fragestellungen stets präsent bleiben – dies fördert eine kontinuierliche Reflexion und verhindert, dass sich in irrelevanten Details verloren wird.
2_Sozial erwünschtes Antwortverhalten
Befragte tendieren dazu, unter bestimmten Voraussetzungen das zu sagen, was ihr Gegenüber hören möchte. In persönlichen Befragungen wird Kritik oft zurückgehalten, während Befragte in Online-Umfragen dazu neigen, sich beispielsweise als besonders gebildet oder belesen zu präsentieren. Um dem entgegenzuwirken, sollte Anonymität gewährleistet und klar kommuniziert werden. Zudem ist es sinnvoll, bestimmte Dimensionen – etwa das Leseverhalten – aus unterschiedlichen Perspektiven mit mehreren Fragen zu erfassen. In persönlichen Gesprächen hilft eine neutrale, vertrauensvolle Atmosphäre, ehrliche Antworten zu fördern.
3_Neutralität und Einfachheit
Eine neutrale und einfache Sprache hilft ebenfalls, sozial erwünschtem Antwortverhalten vorzubeugen. Fragen sollten ohne Fachbegriffe und in verständlicher Sprache formuliert werden. Bei der Formulierung eines Fragebogens oder Interviewleitfadens sollte immer in der Sprache der Zielgruppe gesprochen werden. Außerdem gilt es, (indirekte) Wertungen in den Frageformulierungen zu vermeiden, da auch sie das Antwortverhalten verzerren können. Anstatt zu fragen: „Waren Sie von der Führung begeistert?“, sollte es besser heißen: „Wie bewerten Sie die Führung auf einer Skala von 1 = sehr negativ bis 5 = sehr positiv?“
4_Struktur des Fragebogens
Ein guter Fragebogen oder Interviewleitfaden folgt einer thematisch klar strukturierten Reihenfolge und Logik. Als Faustregel gilt dabei das Prinzip: erst allgemein, dann spezifisch. Ein „softer“ Einstieg in eine Befragung ist wichtig, um die Teilnehmenden nicht gleich zu Beginn zu überfordern und so einen Abbruch zu riskieren. Im Verlauf der Befragung sollte außerdem nicht zwischen verschiedenen Themen hin und her gewechselt werden. Hinsichtlich der Fragenreihenfolge sollte außerdem berücksichtigt werden, dass bereits gestellte Fragen die Antworten auf zukünftige Fragen beeinflussen können. Ein plakatives Beispiel: Wenn die Befragten ihre Lieblingskunstepoche aus einer Liste auswählen und anschließend alle Epochen nennen sollen, die sie kennen, wird natürlich die zweite Antwort durch die erste Frage beeinflusst.
5_Überinterpretation
Die Ergebnisse einer Studie sollten immer in den Kontext eingeordnet werden. Dabei gilt es sich zu fragen:
• Was sagen mir die Ergebnisse?
• Welche Limitationen gibt es und wie aussagekräftig sind die Ergebnisse?
• Wo liegen die Grenzen der Ergebnisse? Welche Interpretationen sind möglich, ohne von den objektiven Fakten abzuweichen?
…die Liste an kritischen Fragen kann sicherlich noch weiter ergänzt werden. Festzuhalten bleibt jedoch: Bei jeder Ergebnisinterpretation sollte der Entstehungskontext der Daten berücksichtigt werden. Zur Absicherung kann es außerdem helfen, weitere Quellen und Studien zur Interpretation hinzuzuziehen.
Externe Dienstleister garantieren eine methodisch saubere Arbeit und ermöglichen umfassende und repräsentative Studien
Die Ausführungen zeigen: Die Berücksichtigung methodischer Grundlagen ist Voraussetzung für aussagekräftige und verzerrungsfreie Ergebnisse. Auch bei kleinen und unkomplizierten Erhebungen ist eine methodisch saubere Arbeit Pflicht. Ohne ein ausreichendes Wissen über die Grundprinzipien der empirischen Forschung drohen falsche Schlussfolgerungen und daraus resultierend falsche Entscheidungen im Hinblick auf die Strategie einer Kultureinrichtung.
Eine gemeinsame Arbeit zwischen Kultureinrichtungen und externen Dienstleistern für Publikumsforschung kann das Risiko für verzerrte Ergebnisse und falsche Schlussfolgerungen erheblich reduzieren. Extern betreute Studien ermöglichen zudem repräsentative Befragungen des (Nicht-)Publikums und führen zu einem deutlich geringeren Arbeitsaufwand aufseiten der Kultureinrichtungen. Natürlich ist ein externer Partner nicht bei jeder Art von Studie notwendig – kann bei komplexen Fragestellungen oder bei einer gewünschten Vertiefung von selbst erhobenen Daten jedoch durchaus sinnvoll sein. Kultureinrichtungen dürfen den Aufwand, den selbstständig durchgeführte Studien mit sich bringen, nicht unterschätzen – genau wie die Relevanz einer methodisch sauberen Arbeit während des gesamten Prozesses, von der Studienkonzeption bis hin zur Ergebnisanalyse.