000000000

Nicht nur anschauen: Die Revolution der Teilhabe in Museen

Museen sind längst nicht mehr nur Orte, wo man sich nur über eine Vitrine beugt. Heutzutage versuchen viele Einrichtungen, die Besuchenden direkt in den kulturellen und künstlerischen Prozess einzubeziehen. Über den reinen Besuch hinaus laden Museen dazu ein, das kulturelle Angebot nicht nur zu betrachten, sondern es auch zu erleben und mitzugestalten. Diese Interaktion schafft eine dynamische Verbindung zwischen dem Angebot und seinem Publikum und macht Kunst und Kultur greifbarer und lebendiger.

Denn sicherlich kennen auch Sie einige Menschen, die sich immer noch scheuen, die Schwellen eines Museums zu überschreiten. Menschen, die Berührungsängste haben mit diesen kulturellen Institutionen und sich denken: «Das ist nichts für mich». Doch muss das so sein?

Immer mehr Kultureinrichtungen binden Menschen ohne offensichtliche Museumsaffinität aktiv in ihre Arbeit ein. Die Museen versuchen sie zu überzeugen, dass die Ausstellungen sehr wohl etwas mit ihrem Leben zu tun haben – und dieses Engagement wird sogar von grossem Erfolg gekrönt!

Doch was bedeutet diese Teilhabe der Besucher*innen konkret für die Museumsmacher*innen?

Wir befragten dazu Nico Gurtner, Leiter Marketing & Kommunikation vom Museum für Kommunikation Bern, und Jasmin Mickein, Head of Press and Public Relations von der Kunsthalle Bremen.

 

Was bedeutet Teilhabe für Sie?

Nico Gurtner: Wir sagen bei uns: «Wie sollen sich Menschen fürs Museum interessieren, wenn sich das Museum nicht für die Menschen interessiert?» Oder anders ausgedrückt: Teilhabe ist für mich die logische Konsequenz, wenn wir die Besuchenden ernst nehmen.

Jasmin Mickein: Teilhabe bedeutet für uns, externes Wissen in unsere Arbeit zu integrieren. Dazu lassen wir Menschen die Inhalte des Museums mitgestalten. Auch wenn die Kunsthalle 700 Jahre Kunstgeschichte umfasst, sind wir bei vielen Themen auf die Expertise und die Erfahrungen des Publikums angewiesen.

 


Nico Gurtner, Leiter Marketing & Kommunikation vom Museum für Kommunikation in Bern
«Teilhabe ist für mich die logische Folge, wenn wir die Besuchenden ernst nehmen

Was für Vor- und Nachteile hat es, Besucher*innen aktiv in Ausstellungen und Programmen miteinzubinden und aktiv teilnehmen zu lassen?

NG: Das aktive Miteinbeziehen der Besuchenden ermöglicht uns immer wieder neue Perspektiven auf unsere eigene Arbeit. Der Blick von aussen ist so eine wertvolle Ergänzung – aber das heisst auch, dass wir bereit sein müssen, unsere Arbeit zu erklären und zu hinterfragen. Insgesamt wird damit alles beweglicher, statisches «business as usual» ist nicht mehr der Normalfall. Das ist herausfordernd und spannend!

JM: Indem wir das Ruder abgeben, ergänzen wir das Museum und seine Erzählstrukturen um neue und andere Perspektiven. Gleichzeitig geben wir somit diesen Perspektiven eine Sichtbarkeit. Dieser Prozess ist insofern eine Herausforderung, da es bedeutet, dass man externe Personen in komplexe Arbeitsprozesse einführen muss. Dies umfasst schlichtweg viel und transparente Kommunikation.

 


Jasmin Mickein, Head of Press and Public Relations von der Kunsthalle Bremen
«Der Öffnungsprozess ist wichtig für das Museum, da es nicht von der Gesellschaft abgekoppelt, sondern in die Gesellschaft integriert sein muss.»

Welche Elemente oder Aspekte Ihrer Teilhabe-Programme haben sich als besonders erfolgreich erwiesen, um eine aktive Beteiligung der Besucher*innen zu fördern? Wie nutzen Sie digitale Technologien, um die Teilhabe der Besucher*innen zu erweitern und zu vertiefen?

NG: Die absolut grösste Veränderung war die Einführung der Kommunikator*innen als Gastgebende in der Ausstellung. Seit 2017 gehen sie auf Augenhöhe auf die Besuchenden zu, führen viele Gespräche, beantworten Fragen oder machen kurze Führungen und Spiele. Diese Begegnungen sind eine Bereicherung für das Museum – und die Besuchenden lieben sie. Hier findet ein echter Austausch statt. Natürlich nutzen wir auch digitale Technologien für die Teilhabe – z. B. in unserem neuen Onlineportal. Aber die analogen Begegnungen hinterlassen auf beiden Seiten mehr Eindrücke.

JM: Wir nutzen sowohl Aufrufe (z.B. «Call for Photos») als auch Expertengremien für Teilhabeprozesse. Ausserdem haben wir das Jugendkuratorium New Perceptions gegründet, das 2023 eine vielbeachtete Ausstellung kuratiert hat. Für unser Aufrufe nutzen wir vor allem unsere Social-Media-Kanäle wie z.B. Instagram. Bei der Zusammenarbeit mit Expertengremien und dem Jugendkuratorium ist das analoge Treffen ein zentraler Moment.

 

Wie passen Sie Ihre Programme und Ausstellungen an, um unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen und deren Teilhabe zu gewährleisten?

NG: Wir probieren immer wieder neue Ansätze aus. In Ausstellungen oder gezielten Projekten etwa mit Menschen mit Fluchterfahrung oder in der Zusammenarbeit mit Kindern. Aus jedem dieser Prozesse lernen wir und nehmen dieses Erfahrungswissen mit in die nächsten Projekte.

JM: 2023 zeigten wir die Ausstellung Generation*. Jugend trotz(t) Krise, die von unserem Jugendkuratorium kuratiert wurde. Die Ausstellung wurde also von jungen Menschen für junge Menschen organisiert. Und das Konzept ging auf: Das Publikum war deutlich jünger als bei anderen Ausstellungen.

Den Anstoss für das Kuratorium gab 2018 die Ausstellung What is Love? Von Amor bis Tinder, bei der wir bewusst eine Ausstellung für ein jüngeres – und nicht das klassische – Museumspublikum organisierten. Die Ausstellung war in dieser Hinsicht erfolgreich und erreichte ein im Schnitt 18 Jahre jüngeres Publikum. Deshalb entschieden wir uns bewusst dafür eine Gruppe (externer) junger Menschen zusammen zu stellen, die Themen für ihre eigene Generation entwickeln.

 

Welche langfristigen Auswirkungen hat die aktive Einbindung von Besucher*innen auf Ihre Institution und die Beziehung zu Ihren Besucher*innen?

NG: Aus meiner Sicht wird das Museum mit der Teilhabe demokratischer. Wir vermitteln nicht mehr Wissen von oben herab, sondern wir teilen Wissen, diskutieren es und nehmen auch immer wieder Wissen von Besuchenden auf. Damit wird das Museum beweglicher und verändert sich fortlaufend. 

JM: Unser Ziel ist es neue Zielgruppen zu erreichen und das Museum zu öffnen, so dass mehr Menschen die Kunsthalle Bremen als «ihr» Museum verstehen. Der Öffnungsprozess ist wichtig für das Museum, da es nicht von der Gesellschaft abgekoppelt, sondern in die Gesellschaft integriert sein muss.

Jasmin Poinsitt & Fabien Morf
© L’Oeil du Public
Folgen Sie unseren Social-Media-Kanälen!

* Pflichtfelder

Melden Sie sich für unseren Newsletter an!

    FrauHerr

    Gerne abonniere ich den Newsletter für die Schweiz / Deutschland / ÖsterreichGerne abonniere ich den Newsletter für Frankreich / Belgien

    Share via
    Copy link
    Powered by Social Snap