Mit Blick auf aktuelle und kommende Herausforderungen von Museen und Kultureinrichtungen können Publikumskomitees wertvollen Input zur Optimierung der eigenen Strategie liefern. Aber was ist das überhaupt? Wie können Publikumskomitees einen echten Mehrwert für Kultureinrichtungen schaffen?
Was ist ein Publikumskomitee?
Ein Publikumskomitee ist ein partizipativer Ansatz, der einen wiederholten Austausch mit einer gleichbleibenden Gruppe von Besucher:innen über einen längeren Zeitraum organisiert. Der Zeitraum kann dabei variieren und nur einige Monate aber auch mehrere Jahre betragen. Publikumskomitees stellen somit eine Form qualitativer Langzeitstudien dar, die Analysen mit einer besonders hohen Detailtiefe ermöglichen.
Die Rolle der Komitee-Mitglieder geht dabei weit über die herkömmlicher Besucher:innen hinaus. Zwar können auch herkömmliche Besucher:innen Teil einer qualitativen Studie werden, jedoch findet dies meist im Rahmen eines einmaligen Besuchs einer Einrichtung statt, auf den im Anschluss ein Tiefeninterview oder eine Fokusgruppendiskussion folgt. Im Gegensatz dazu werden Komitee-Mitglieder zu echten Partner:innen der Kulturinstitutionen und begleiten diese über einen langen Zeitraum in (mehrstufigen) Forschungsprojekten.
Komitee-Projekte eignen sich für eine Vielzahl an Fragestellungen und können zum Beispiel Besuchserfahrungen, die Wahrnehmung neuer Inhalte, Tests digitaler Elemente, besondere Programmpunkte oder die Wirkung von Mitgliederprogrammen umfassen. In ihrer Organisation und Struktur sind sie an qualitativen Methoden wie Co-Creation-Workshops oder Design-Thinking Ansätzen orientiert. Die langfristige und dadurch sehr persönliche Zusammenarbeit im Komitee zeichnet den partizipativen Charakter der Methode aus.
Langfristige Zusammenarbeit und aktive Partnerschaft als Merkmal
Durch die wiederholten Sitzungen und die damit einhergehende lange Projektlaufzeit entstehen Nähe und Vertrauen zwischen den Komiteemitgliedern. Die daraus resultierenden Dynamiken fördern kritische Reflexionen und ermöglichen stringente Diskussionen, die einerseits bei jedem Austausch um neue Eindrücke ergänzt werden und andererseits auf vergangene Diskussionen aufbauen. Die Teilnehmenden sind nicht nur „Studienobjekt“, sondern werden zu aktiven und mitgestaltenden Akteuren.
Publikumskomitees helfen, Wandel voranzutreiben
In der Praxis greifen Einrichtungen in ganz unterschiedlichen Ausgangslagen auf Publikumskomitees zurück. Die Methode lässt sich sehr gut individualisieren und auf verschiedene Fragestellungen anwenden. Das Pariser Science Center Cité des sciences et de l’industrie wollte zum Beispiel dem Thema Besuchserlebnis vor Ort eine höhere Aufmerksamkeit schenken und entschied sich 2024 dafür, mithilfe eines Komitees nach neuen Ideen zu suchen, die dabei helfen sollen, das Erlebnis in der Cité des sciences et de l’industrie zu verbessern.
Im Rahmen des Projektes fanden in kleinen Gruppen „kommentierte Besuche“ der Museumsräume sowie der Außenanlagen und der Umgebung der Cité des sciences et de l’industrie statt. Kommentierte Besuche sind eine qualitative Beobachtungs- und Gesprächsmethode, bei der die Teilnehmenden während eines Rundgangs ihre Wahrnehmungen laut aussprechen – ein sogenannter „Think-aloud“-Ansatz. Sie teilen spontan, was sie anspricht, überrascht oder irritiert, und kommentieren Raumwirkung, Orientierung, Beschilderung und Inhalte direkt im Moment der Erfahrung. Durch diesen Austausch entsteht ein lebendiges Bild davon, wie Besucher:innen das Museum tatsächlich erleben, welche Erwartungen sich bestätigen – und wo Potenziale für Verbesserungen liegen.
Auch im Rahmen baulicher Erneuerungen oder Standorterweiterungen erweisen sich Publikumskomitees als zielführend. So hat das MAMC+ (Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Saint-Etienne) zum Beispiel ein auf drei Jahre angelegtes Komitee ins Leben gerufen, um seine Ausstellung nach einem Neubau mit Input zum Thema Nachhaltigkeit durch das eigene Publikum immer wieder anzupassen. Ganz ähnlich sieht es beim Musée National de la Marine (französischen Marinemuseum) aus, das seinen Standort in Rochefort ab 2026 renovieren wird. Unterstützt wird die Einrichtung dabei von einem Reflexions- und Ideenkomitee, das sich mit dem zukünftigen kulturellen Angebot des Museums befassen wird. Véronique Paintrand, Leiterin der Abteilung Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass der Ansatz „die Begegnung zwischen Publikum und Nicht-Publikum sowie damit einhergehend gemeinsame Innovationsprozesse fördert“.
Vermittlungsinstrumente mit iterativen Prozessen weiterentwickeln
Auch Vermittlungsinstrumente können in Publikumskomitees getestet und optimiert werden. So entwickelt die Cité de l’architecture et du patrimoine (französische Museum für Architektur und Denkmäler) neue nutzer:innenzentrierte Instrumente, die innerhalb verschiedener Testphasen evaluiert werden. Dafür nutzt die Einrichtung Präfigurationsszenarien, 3D-Visualisierungen, Aufzeichnungen, animierte Screenshots und vieles mehr. Die Projekte werden auf Basis des Inputs des Publikumskomitees von Sitzung zu Sitzung angepasst und verfeinert.
Ein kollaboratives Forschungsprogramm basierend auf Museumsmaterialien
Florence Raymond, Kuratorin und zuständig für die Vermittlung am Musée de l’Hospice Comtesse, einem Museum für Kunst und Geschichte in Lille, berichtete uns an der Konferenz Museum Connections[1], wie sie und ihr Team ein Publikumskomitee gegründet haben, das sich der Geschichte des Museums widmet. Die Einrichtung wurde in der Vergangenheit als Krankenhaus und als Hospiz genutzt. Im Rahmen dieses Projekts sammeln die Mitglieder des Publikumskomitees Archivmaterial von Menschen, die vor der Umwandlung des Gebäudes in ein Museum direkt oder indirekt mit dem Hospiz verbunden waren. Ziel der Arbeit ist es, die Geschichte des Ortes zu dokumentieren, indem diese in die Gestaltung des Museums einfließt. Die zuständige Arbeitsgruppe besteht aus Museumsmitarbeiter:innen und generationsübergreifenden Botschafter:innen des Museums. Das Beispiel zeigt, wie ein Museum mithilfe eines Co-Creation-Ansatzes eine Verbindung mit seiner unmittelbaren Umgebung herstellen kann.
Publikumskomitees fördern Verbindung mit der Region
Ein Publikumskomitee kann somit einen ersten Schritt zur Schaffung eines Kulturprojekts darstellen, das eng mit seiner Region verbunden ist. Es trägt durch Dialog, Zuhören und gemeinsame Gestaltung dazu bei, das Museum für das lokale Leben sowie für kulturelle, soziale und ökologische Themen zu öffnen.
Ariane Lacas
© L’Oeil du Public
Photo : Publikumskomitee, Universcience Cité des sciences et de l’industrie (2024-25), © L’Oeil du Public
[1] Conférence Museum Connections (2025), Comités d’usagers : quelles bonnes pratiques pour un usage efficace ? ↩︎