Wissen Sie, warum Sie eigentlich ins Museum gehen? Gehen Sie hin, um die Kunstwerke zu bewundern oder um Zeit mit Ihrer Familie zu verbringen? Was wäre, wenn wir Ihnen sagen würden, dass der Grund Ihres Museumsbesuchs zuallererst mit Ihrer Identität zu tun hat? Die 7 Besucher:innen-Typen von John Falk basieren auf dieser Annahme. Werfen wir einen genaueren Blick darauf.
Seit einigen Jahrzehnten orientieren sich Kultureinrichtungen immer mehr am Zielpublikum aus. Oder besser gesagt, an den Zielpublika. Tatsächlich offenbart die eingehende Betrachtung von «des» Publikums eine facettenreiche Realität. Viele Kultureinrichtungen arbeiten daher mit Fachleuten und Werkzeugen, die darauf ausgerichtet sind, das Publikum besser zu verstehen und ihm entsprechend seinen Erwartungen immer neue Erlebnisse zu ermöglichen. Besucher:innen sind selbst zum Studienobjekt geworden: Wer sind sie? Woher kommen sie? Wonach suchen sie in einem Museum oder einem Theater? Was machen sie dort eigentlich? Hier setzt Kulturmarketing mit seiner Vielzahl an Forschungs- und Analysetools an – denn es reicht nicht, Daten zu sammeln, man muss auch daraus Erkenntnisse gewinnen.
Aber Besucher:innen lassen sich nicht so leicht enttarnen…
Nach Ansicht von John Falk, einem Spezialisten für Museumspublikumsforschung und Direktor des Institutes Learning Innovation, liegt einer der Gründe für die Schwierigkeiten, in den verwendeten Forschungsmethoden. Der Grossteil dieser lässt sich ausschliesslich während des Museumsbesuches anwenden. Auf den ersten Blick ist die Idee, das Museumspublikum in den Gemäuern des Museums zu studieren, nicht widersprüchlich. Das Problem bei diesem In-Situ-Ansatz sei es jedoch, so Falk, dass die Erfahrung des Besuchs grösstenteils lange vor oder selbst lange nach dem Besuch konstruiert werde. Der Versuch, die Erfahrung des Besuchs zu sehr mit dem Besuch selbst in Beziehung zu setzen, bedeute, einen grossen Teil der Fragestellung zu vernachlässigen.
Der soziale Erwünschtheitseffekt
Ein weiteres Problem – das Falk in seinem Artikel im OCIM-Newsletter (2012) nicht explizit erwähnt, das wir aber als grundlegend erachten – ist der sogenannte «soziale Erwünschtheitseffekt». Die befragte Person tendiert dazu, sich in ein gutes Licht zu rücken und wird daher seine/ihre Antworten entsprechend formulieren bzw. auswählen. Diese Verzerrung durch die soziale Erwünschtheit, die wir in unseren Studien regelmässig feststellen, ist stärker, wenn die Befragung vor Ort stattfindet und durch eine reale Person durchgeführt wird.
Vorsicht ist geboten, ein Motiv kann ein anderes verdecken
Des Weiteren erklärt Falk, dass sich ein:e durchschnittliche:r Besucher:in während der ersten fünfzehn Minuten des Besuchs konzentriert und 60% seiner/ihrer Aufmerksamkeit dem Inhalt der Ausstellung widmet. «Dies bedeutet aber auch, dass etwa 40% der Aufmerksamkeit auf andere Dinge gerichtet wird, hauptsächlich auf Gespräche mit Begleitpersonen oder auf Beobachtungen, die sich auf den Ort, andere Besucher oder periphere Elemente beziehen», so Falk. Das heisst nicht, dass die Ausstellung selbst keinen Einfluss auf das Erlebnis des Besuchers hat, aber neben den Qualitäten der vom Museum angebotenen Inhalte sind auch Elemente zu berücksichtigen, die den Kontext des Besuchs betreffen.
Sage mir, wer du bist, und ich sage dir, warum du ins Museum gehst – oder auch nicht
Falk erwähnt auch eine weitere Einschränkung der Publikumsforschung: die Annahme, kulturelle Praktiken hauptsächlich mit einem soziodemografischen Parameter (Beruf, Alter, Einkommen, etc.) in Verbindung zu bringen. Kurz gesagt, sage mir, wer du bist, und ich sage dir, ob du ins Museum gehst. Diese Variablen sind zwar leicht zu erfassen, erlauben uns aber nicht, das Publikum so gut zu verstehen, wie wir glauben [1]. Sollten wir also die Publikumsforschung über Bord werfen, nur weil es so viele Gründe gibt, ins Museum zu kommen, wie es Besucher:innen gibt?
In Wirklichkeit geht es eher darum, über die herkömmlichen Verfahren hinauszugehen und Studien mit ergänzenden Methoden zu erstellen.
7 Arten von Besucher:innen
Falk schlägt auf der Grundlage zahlreicher qualitativer Umfragen eine neue Kategorisierung vor, die seine Sicht auf das Publikum verändert habe. Ausgehend von persönlichen Beweggründen der Gäste, die wiederum mit ihren Identitäten verbunden sind, schlägt der amerikanische Forscher 7 Besucher:innen-Profile vor:
• Die Entdecker: Personen mit diesem Profil interessieren sich zunächst für den Inhalt des Besuchs selbst und suchen, was ihre Aufmerksamkeit fesselt und ihr Wissen erweitert.
• Die Vermittler: Wichtig für diese Personen ist vor allem die Erfahrung derjenigen, die sie dabei begleiten – die sie «führen». Sie kommen oft in Gruppen und nutzen die Inhalte vor allem im Sinne der anderen.
• Die Profis und sachkundige Amateure: Diese Personen kommen aufgrund ihrer Leidenschaft ins Museum.
• Die Erfahrungssuchenden: Diese Besucher:innen treffen ihre Wahl eher auf «opportunistischer» Basis. Sie werden in erster Linie von der Erfahrung selbst angezogen und sind zufrieden, wenn sie einfach «da gewesen» sind. Der Name des Museums ist wichtiger als sein Inhalt.
• Die Erholungssuchenden: : Diese Personengruppe ähnelt den Erfahrungssuchenden, wobei sie aber eine andere Art von Erfahrung suchen – eine kontemplative, spirituelle und erholsame.
• Die respektvollen Pilger: Diese Besucher:innen kommen in das Museum vor allem aus Respekt oder Bewunderung für die Persönlichkeiten, die das Museum in den Vordergrund stellt.
• Die Affinitätssuchende: Diese Personen suchen nach einem Erlebnis, das mit der Geschichte, dem eigenen Erbe oder der eigenen Persönlichkeit in Verbindung steht.
Was ändert das am Ende?
Letztendlich wird durch diese Betrachtungsweise die gesamte Wahrnehmung der Zielgruppen und die Vorgehensweise bei deren Untersuchung beeinflusst. Zu wissen, aus welchen dieser 7 Kategorien sich das Publikum eines Museums zusammensetzt, ermöglicht es, herauszufiltern, welche Parameter das Publikum am ehesten (oder am wenigsten) anziehen: Interessiert sich das Publikum für den Inhalt selbst? Für den Ort? Für das Erlebnis, welches das Museum bietet oder für die Möglichkeit, mit dem Besuch «anzugeben» (#BeenThereDoneThat)? Zum Beispiel könnte die Schätzung des Anteils der Erfahrungssuchenden dem Museum erlauben, die Wichtigkeit seiner Sichtbarkeit zu beurteilen. In der Tat können wir annehmen, dass es aus Sicht dieser Besucher:innenkategorie weniger ihr eigenes Urteil ist, anhand dessen sie den Ort bewerten können, als vielmehr das Urteil ihrer Umgebung. Die Erfahrungssuchenden sind also sensibler für die öffentliche Meinung (das Image) des Museums als die Erholungssuchenden, die ihren Besuch viel mehr nach persönlichen Gefühlen beurteilen werden. Diese Kategorisierung ermöglicht es auch Fachleuten, die für die Sammlung von Informationen über die Öffentlichkeit zuständig sind, eine verfeinerte Analyse zu erstellen, die nicht nur auf soziodemografischen Merkmalen basiert – z. B. mit Hilfe einer multiplen Korrespondenzanalyse (MCA).
Die Nützlichkeit von Kulturmarketing…
Der Aufbau und die Einführung einer solchen Segmentierung ist ein ziemlich schwieriges und komplexes Unterfangen, das Fachleute für Forschung und statistische Analyse erfordert. Aber das Vorgehen hält einige Überraschungen bereit und bietet vor allem einen echten Mehrwert in Bezug auf Massnahmen und Resultate.
Im Rahmen seines strategischen Plans 2020-2024 stützte sich das Ethnografische Museum in Genf auf diese Typologie von Falk, um seine neue Strategie für Zielgruppenansprache, zu entwickeln und damit von einem «Push»-Modell zu einem «Pull»-Modell überzugehen, das sich an den Erwartungen und Beweggründen des Publikums orientiert.
Die Suche nach den Gründen, die ein:e Besucher:in wirklich zum Kauf einer Eintrittskarte motivieren gleicht der Suche nach dem heiligen Gral. Aus diesem Grund haben viele Unternehmen in den letzten Jahren Ansätze zum Thema «Consumer Insights» und entsprechende Hilfsmittel (Consumer Knowledge Manager, Consumer Insight Manager, etc.) eingeführt. Bei diesen Consumer Insights, wie auch bei Falks Typologie, geht es im Kern darum, die Kaufmotive (oder in unserem Fall die Besuchsmotive) zu «ergründen»: sich nicht mit einem einzigen «Warum» zufriedenzugeben, sondern die Frage immer wieder neu zu stellen und auch dann noch weiter zu «graben», wenn die ersten Antworten zum Vorschein kommen. Und das Geheimnis, so werden Consumer Insights Manager es Ihnen sagen, liegt in Daten. Und den Erkenntnissen, die man durch sie gewinnen kann. Daher die Bedeutung von Studien – vorausgesetzt sie sind gut gemacht.
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[1] Falk verwirft in seinem Artikel die an sich nützlichen sozio-demografischen Merkmale vielleicht etwas voreilig. Die Fussnote im Artikel selbst spricht für sich: «(2) Selbstverständlich bestreitet der Autor hier nicht wirklich den Erklärungswert von soziologischen Variablen bei der Vorhersage der gesellschaftlichen Zusammensetzung des Museums- und Kulturpublikums im Allgemeinen. Aber er versucht, diese bekannten Faktoren zu ergänzen und über sie hinauszugehen, um die Einzigartigkeit der Besuchserfahrung zu beschreiben und zu formalisieren.» Dies ist selbstverständlich, aber es ist besser, wenn man noch einmal darauf hinweist.
Verweise
Falk J-H. (2012), «Expérience de visite, identités et self-aspects», La Lettre de l’OCIM [online]. URL: http://journals.openedition.org/ocim/1061; DOI: 10.4000/ocim.1061
Musée d’Ethnographie de Genève (2019), Strategic Plan 2020-2024 URL: https://www.ville-ge.ch/meg/en/ps_20_24.php
Bignoud, M. (2018), «Améliorer l’expérience de visite individuelle: des pistes de réflexion. Mise en perspectives des travaux de J. H. Falk et L. D. Dierking sur l’expérience muséale (museum experience) et observation des pratiques de musées exposant du mobilier archéologique», Mémoire rédigé pour l’obtention du certificat. Cours de base en muséologie 2017-2018 d’ICOM Suisse.